Das westliche Evolon. Karthesisches Großreich und Randgebiete.
Donnerstag, 5. November 2009
Dienstag, 27. Oktober 2009
Kapitel I Der Wüstenjunge I
I. DER WÜSTENJUNGE
Die Sonnenstrahlen küssten den Boden auf der kleinen, von der Mittagssonne halb verbrannten Rasenfläche im Park von Nantra. Nantra war die letzte Bastion längst vergangener Tage und der einzige zivilisierte Ort inmitten der totbringenden Wüste Ceron. Gegründet von den Vorfahren der Shivari, den Wüstennomaden, stellte Nantra einen wichtigen Umschlagsplatz für die Waren jenseits des großen Sandes dar. Doch dies war für den Jungen, der dort im Schatten eines Hauses Schutz vor der Hitze suchte, unwichtig, denn schließlich hatte er Hunger und es war die ideale Tageszeit, für einen Taschendieb wie ihn, um auf Beutezug zu gehen. Denn genau zu dieser Zeit wagten sich auch die reichen Aristokraten aus ihren Häusern, um auf dem Markt von Nantra ihr hart erarbeitetes Geld für sinnlose Banalitäten aus dem Fenster zu werfen. Tajur hasste diese arroganten Angeber, die ihr Geld nur aufgrund eines Namens oder ihrer Vorfahren besaßen. Deshalb erleichterte er sie gerne um ein paar Taler. Dann würden sie wenigstens einmal für etwas Sinnvolles eingesetzt werden, nämlich gegen seinen riesigen Hunger. Hier im Regierungsbezirk Nantras bedeutete es ein Leichtes unachtsame Passanten zu bestehlen. Man musste nur auf die Stadtwachen aufpassen. Doch für Tajur der schon seit dem er denken konnte auf der Straße lebte, war auch dies kein Problem, besonders da sich die Wachen in letzter Zeit sehr stark reduziert hatten und in die Regionen der Stadtmauer versetzt wurden. Dies hing wohl mit der annähernden Bedrohung zusammen, von der alle Leute tuschelten. Aber was sollte es den jungen Tajur mit den strubbligen dunkelbraunen Haaren interessieren, schließlich war er nur ein einfacher Taschendieb der versuchte über die Runden zu kommen. Da erspähte er auch schon sein erstes Opfer. Ein korpulenter, älterer Herr, dessen Dekadenz Tajur schon zehn Meilen gegen den Wind roch. Ideal zum bestehlen, dachte er und war höchst entschlossen. Er holte kurz tief Luft. Dann ging der braungebrannte Jüngling direkt auf den Mann zu - ein kurzer Rempler und dann untertauchen in der Menschenmasse. Wieder einmal ein gelungener Schachzug des siebzehnjährigen Straßenjungen. Seine Schnelligkeit und Wendigkeit waren berühmt unter den Taschendieben Nantras. Deshalb hatte er auch immer volle Auftragsbücher für Hehler und anderes Gesindel. Er blickte kurz in seine Hand um seine Beute zu begutachten. „Naja für ´ne gute Suppe wird es schon reichen…“ flüsterte er leicht enttäuscht. Sein Blick wanderte zurück zu dem dicken Mann, um zu urteilten, dass der voluminöse Herr sein Gold vorzugsweise dazu benutze, sich den Wanst zu füllen, was er an diesem Tag wohl schon getan hatte. Essen. Genau das war Tajurs Stichwort, der sich mit der flachen Hand über die karamellbraune Haut seines, vor Hunger zitternden Bauches fuhr. Nichts wie weg aus dem Silberlöffel wie es in Diebeskreisen genannt wurde und zurück in die vertrauten Straßenzüge der Bettlerstadt. So änderte sich wenige Gassen weiter das städtische Landschaftsbild rapide. Alt ehrwürdige Tempelbauten und verzierten Hausfassaden wechselten mit heruntergekommenen, engen, dunklen, gepflasterten Straßen. Ein Haus präsentierte sich renovierungswürdiger als das andere. Tajur schien nun in den schlüpfrigen Gebieten Nantras gelandet. Doch hier fühlte er sich eindeutig wohler. Hier wo die Menschen zwar nicht vor Reichtum platzten, jedoch menschlicher waren als es ein Aristokrat je sein konnte. „Tajur! Da ist ja mein Goldjunge! Na was hast du denn diesmal für den guten alten Jakobi?“ grölte eine rauchige Stimme aus einer Seitenstraße. Es war Jakobi, Tajurs Hehler und bester Auftraggeber, der sich in einer abgehalfterten Kneipe als Wirt tarnte. Ein reiferer Herr, etwa um die fünfzig, jedoch sah er durch sein kantiges Gesicht, durch welches sich tiefe Falten zogen schon wesentlich älter aus. Er war gezeichnet von seinem harten Leben auf der Straße. „Diesmal nicht viel, Jak…“ erwiderte Tajur enttäuscht. „Nur ein paar Goldtaler, aber ich hoffe, dass du mir damit ´ne Suppe besorgen kannst.“ „Was nur ein paar Taler, na nun aber keine falsche Bescheidenheit mein Junge. Das sind mindestens einhundert savanitische Merez! Dafür bekommst du von mir meine Spezial Tagessuppe. Mensch selbst an schlechten Tagen bist du immer noch mein bestes Pferd im Stall, Bürschchen! Na dann komm mal mit in die gute Stube!“ schnaubte er lachend und klopfte Tajur auf die Schulter, danach gingen beiden in ein relativ bescheidenes Lokal in mitten der Ruinen des Viertels. Der Goldkrug war über die Grenzen des Viertels hinaus bekannt, aber nicht wirklich als Wohlfühletablissement, sondern eher als Auffangbecken für Straßengesindel und Gesetzlose. Jakobi strich Tajur mit seiner großen, groben Hand über den Kopf, doch der Junge hasste es, wenn er von diesem wie ein Tier behandelt wurde und wich der Hand gekonnt aus, wobei er die Luft wütend durch seine Nasenlöcher presste. „Schon gut Junge. Ich sehe du hast heute nicht so gute Laune…“ bemerkte der Wirt und servierte ihm eine recht appetitlich aussehende Kohlsuppe, oder was es auch immer sein sollte, aber das interessierte Tajur auch nicht weiter. Er hatte Hunger und begann sogleich seine flüssige Beute herunter zu schlingen. „Weißt du Jak…“ schlürfte der Junge, nun sichtlich entspannter, dem Schankwirt entgegen: „ Früher war wenigstens noch ein Reiz dabei die Leute zu bestehlen, schließlich waren überall Wachen, aber nun, da kaum noch jemand da ist, hat das alles seinen Glanz verloren.“ „Sei doch froh! Die Geschäfte laufen trotzdem schlechter, weil die reichen Säcke auch immer geiziger werden und nur noch das Nötigste kaufen oder aber vom Stadtrat ausgelutscht werden, um die Kriegskosten aufzubringen…“ erwiderte Jakobi leicht betrübt. „Ich weiß zwar nicht warum, aber ich habe da so ein ganz mieses Gefühl, mein Junge. Ich glaube Nantra steht kurz vor einer Katastrophe…“ Der alte Mann wurde nachdenklich und seine Augen verschwanden unter der großen Falte die sich auf seine Stirn legte. „Wem sagst du das! Meine Träume werden auch immer verrückter...“ durchbrach Tajur den Moment der Stille und flüsterte merklich verängstigt: „Ich sehe jedes Mal unsere Stadt brennen und so eine leuchtende Gestalt doch ich kann sie nie erkennen? Einfach merkwürdig diese Träume kommen immer wieder und es ist immer das Gleiche“. „Hmm… sei auf jeden Fall vorsichtig Tajur, weil an Träumen immer etwas Wahres dran ist…” konstatierte der Alte und hob Tajur den Finger an die Nase: „und du solltest auch aufpassen wohin du gehst! Sie haben Tobi geschnappt und eingezogen zur Stadtverteidigung. Nicht das sie dich auch noch zu so einem Selbstmordkommando schicken. Ich würde dich nur ungern verlieren…!“ Doch Tajur hörte dem alten Hehler gar nicht mehr richtig zu. Sie hatten seinen besten Freund Tobi geschnappt, das konnte nur bedeuten, dass der Krieg kurz bevor stand und somit jeder kampffähige Mann, den sie fanden, eingezogen wurde. Das erfreute Tajur überhaupt nicht, schließlich sollte er für eine Stadt kämpfen, die ihm nichts als Probleme seit seiner Geburt bereitete. Er war ein Findling gewesen, den eine mitleidvolle Wäscherin zu sich nahm, die selber keine Kinder bekommen konnte. Sie und ihr Mann lebten am Rand der Existenz in einem halb verfallenen, alten Gerberschuppen, dessen widerlicher Gestank Tajur heute noch in die Nase stieg, wenn er sich daran erinnerte. Sobald der Junge laufen und sich herausreden konnte begann er zu stehlen und verdiente damit in kurzer Zeit weit mehr als seine Mutter in einem ganzen Monat. Als jedoch die Cholera seine liebevollen Pflegeeltern bald darauf dahinsiechen ließ, war Tajur gezwungen ein neues zu Hause in den Straßen der Wüstenstadt zu finden. So lernte er Jakobi kennen, der ihn seitdem mehr oder weniger väterlich umsorgte. Jedoch bevorzugte Tajur es dennoch sich nicht allzu sehr an ihn zu binden, denn Zeit seines bisherigen Lebens waren Tod und Armut seine Begleiter gewesen. Wie stichwörtlich benannt traten zwei Männer in Gewändern der Stadtwache durch die hölzerne Tür der Gaststube. Tajur ärgerte sich, denn sonst bemerkte er diese Leute bevor sie überhaupt wussten, dass er existiert, doch diesmal hatte der große Hunger seine Sinne getrübt. Ihre Uniform war ziemlich protzig, aber das passte zu diesen überbezahlten Beamten. Blaue seidene Gewänder, mit einem Mantel und dazu feinste Lederstiefel. Ja, die Stadt hatte sich schon etwas geleistet für ihre unbestechlichen Gesetzeshüter. Das weiße Kreuz, das Symbol der kreuzenden Handelsstraßen aus dem Norden und dem Westen, auf der Brust der Kettenrüstung, war die Krönung des Gesamteindruckes. Manche versuchten diesen noch durch irgendwelche nichtssagenden Orden oder Ehrungen zu perfektionieren, doch alles in allem konnte nichts ihre Absichten verbergen. Kurz gesagt, allein die Uniform eines jeden Wachmannes war die perfekte Verschwendung von Steuergeldern und das einzige Interesse der Gendarmen lag darin ihren eigenen Wohlstand auf Kosten der Bürger zu vergrößern. Tajur störte sich jedoch nicht groß daran, denn er zahlte ohnehin weder Steuern, noch leistete er etwaige Abgaben an die Stadtadministration. Die Wachen bewegten sich langsam und mit strengen prüfenden Blicken direkt auf Jakobi zu. Tajur versuchte sich indessen von ihnen abzuwenden und sich hinter seinem Mantel zu verbergen. „Seid gegrüßt werte Schützer unserer heiligen Stadt. Was führt zwei edle Wachmänner wie euch in dieses bescheidene Lokal?“ heuchelte Jakobi ihnen entgegen. In all den Jahren, die er nun schon Besitzer des Goldkruges war, war auch er bekannt wie ein bunter Hund geworden und wusste genau wie er mit dem Gesetzt umgehen beziehungsweise mit dessen Vertretern sprechen musste. Manchmal auch mit der Hilfe einiger kleiner Druckmittelchen unter der Tischkante. „Bescheiden! Ja, das ist wohl das richtige Wort für eure Kaschemme Jakobi, aber was führt uns wohl an diesen gottverdammten Ort? Der Krieg natürlich, mein alter Freund. Wir suchen kampffähige Männer, die unsere heiligen Mauern gegen den anrückenden Feind mit ihrem Leben verteidigen. Nun ja und euer Lokal ist nun mal bekannt dafür viele, wie soll ich es sagen, geeignete junge Männer zu beherbergen.” Er machte eine aufwartende Handbewegung und fuhr fort: „Da in Zeiten des Krieges die Herkunft eines jeden egal ist, stehen wir nun hier vor euch.“ Der erste Wachmann pausierte und versuchte in Jakobis Gesicht zu lesen, als dieser ausdruckslos verharrte, tat der zweite einen Schritt auf den Wirt zu und fügte mit einem verschmitzten Grinsen und einem doch ernsthaften Unterton hinzu: „Also sagt euren Jungs sie sollen sich lieber freiwillig melden, bevor wir sie finden und zwangsrekrutieren, denn so haben sie noch die Wahl. Wir wollen doch nicht, dass sie an die äußerste Mauer müssen, wo sie die geballte Angriffskraft des Imperiums trifft.“ „Nun gut damit kann ich euch zurzeit leider nicht dienen, aber wenn ich einen solchen Burschen finde, werde ich euch natürlich sofort davon unterrichten, edle Herren.“ Das aufgesetzte, künstliche Lächeln war selbst für Jakobi ungewöhnlich unglaubwürdig. „Wie auch immer alter Mann, sieh dies als Warnung. Du solltest uns nicht versuchen hinters Licht zu führen. Die Konsequenzen könnten nicht gut für dein…Geschäft sein!“ drohte der Zweite nun merklich ernsthafter. „Natürlich, natürlich so etwas würde ich mir nie anmaßen unsere ehrenvolle Stadtwache so zu betrügen. Das wäre ja…“ Doch die Wache gab ihm ein Handzeichen zu schweigen, denn dieser in seinem Mantel eingehüllte, Suppe schlürfende, angebliche Krüppel schien doch recht beweglich zu sein, für einen körperlich Eingeschränkten: „Hey du! Wie heißt du und was ist dein Handwerk?“ Tajur versuchte ihn zu ignorieren und konzentrierte sich wieder mehr darauf den Behinderten zu mimen. „Hast du nicht gehört Junge, der Mann hat dir eine Frage gestellt, also antworte gefälligst, du Abschaum!“ fragte der zweite Wachmann und stand wutentbrannt auf. „Wenn ich solch ein Abschaum bin, warum fragt ihr mich dann solche Sachen mein Herr? Ich bin ein vom Schicksal gebeutelter Waise. Seit meiner Geburt kann ich meine Hände nicht richtig bewegen und habe einen Haltungsfehler, also lasst mich geschundene Seele doch bitte in Frieden mein wohlverdientes Mahl zu mir nehmen, edler Herr!“ „Ich sollte dich!“ holte der Wachmann zum Schlag aus doch plötzlich wurde seine wilde Handbewegung unterbrochen. „Schon gut lass ihn in Ruhe Bartholomäus, du siehst doch das er ein Krüppel ist…” sprach der erste Wachmann beruhigend, die Stimme plötzlich aufflammend: „Doch wie es scheint ein recht geschickter oder woher stammt sonst dieser Geldbeutel mit dem Emblem des Bürgermeisters auf diesem Tisch?“ setzte er zynisch und vollkommen überlegen hinzu, wobei er den Kopf in arroganter Pose erhob wie ein majestätischer Richter. Tajur durchfuhr ein kalter Blitz und er schreckte zusammen, doch versuchte sich dies nicht anmerken zu lassen. Konnte es denn möglich sein, dass der rosige dicke Mann vom Markt wirklich der Bürgermeister Nantras gewesen war? Schließlich interessierte sich Tajur nicht für die Politik und erstrecht nicht für die Politiker und deren großen Reden um nichts. Was den Jungen aber am meisten ärgerte war, dass er solch einen Anfängerfehler begangen und seine Beute auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Jakobi schaute gespannt und konzentriert auf Tajur, in Erwartung seiner Reaktion, doch dieser aß besonnen weiter schaute kurz auf, um dann den Mund zu öffnen und erklärend die Silben formend sagte: „Seht ihr, edler Herr. Es ist so…“ während er diese Worte aussprach schmetterte er plötzlich dem ersten Wachmann die Suppe direkt ins Gesicht, schubste ihn dem anderen in die Arme, sprang auf und rannte wie der Blitz aus der Taverne. „Verdammt noch mal lass ihn nicht entkommen, Bartholomäus!“ schrie der erste Wachmann, das Gesicht im Schmerz grässlich entstellt, den Zweiten an und beide spurteten dem geschickten Dieb hinterher. In der Ferne hörte Tajur noch wie Jakobi so etwas wie „Lauf Junge!“ schrie, doch das war nebensächlich. Er musste jetzt so schnell wie möglich die dunklen, verworrenen Gassen des Elendsviertels erreichen, um seine Verfolger abzuhängen. Die zwei Wachmänner setzten die Verfolgung noch eine Weile fort, jedoch machte sich bei den Beiden schon bald, der vom Bier und Wein geformte Körper, bemerkbar und sie waren gezwungen aufzugeben. Tajur, der dies nicht bemerkte, eilte und stürmte unaufhörlich die Winkelgassen des Viertels hindurch. In einer kleinen Seitenstraße kam er schließlich zur Ruhe. Hinter der Mauer, an die er sich keuchend lehnte befand es sich. Das Diebesversteck der Straßenkinder Nantras. Tajur schaute sich um, dass ihn auch ja niemand beobachtet und drückte dann den zerkratzten Backstein in der unteren Reihe nach innen, wodurch sich eine kleine Falltür öffnete. Vor Jahren war dieses Gebäude eine Metzgerei und die Falltür für den Abfall gedacht. Doch als diese, wahrscheinlich auf Grund der flächendeckenden Erkrankung ihrer Kundschaft geschlossen wurde, übernahmen die Straßenkinder sie als geheimen Unterschlupf, der sich bisher als Versteck auch bestens bewährt hatte. Bei den Straßendieben hieß es nur die Höhle. Nicht einmal Jakobi wusste von der Existenz dieses Ortes. Hier war man unter Seinesgleichen. Hier wurde man akzeptiert wie man war. Hier wussten alle wie es sich anfühlte, nichts zu haben - nicht einmal eine Familie. Im Versteck angekommen war Tajur sehr verwundert, denn schließlich waren um diese Zeit mindestens die Wachposten und Späher zu sehen, welche vorsichtshalber eingeteilt wurden, um im Ernstfall rechtzeitig gewarnt zu sein. Er schaute sich einige Male um, doch niemand war zu sehen, was nur eins bedeuten konnte – jemand musste das Versteck verraten haben. Ein schwerer Bruch des Ehrenkodex´ der Diebe, aber in Zeiten wie diesen, in denen jeder sich selbst der Nächste war, war es durchaus möglich, dass irgendjemanden die falschen Wörter über die Lippen gekommen waren. Im Augenblick schien der Junge jedenfalls hier sicher aufgehoben, wenn auch nicht lange, denn vermutlich würde, wer auch immer dafür verantwortlich war, bald wiederkommen. Ein Gefühl des Schauderns ergriff Tajur, doch er befreite sich rasch davon und ging zu seinem Schlafplatz, der aus einer Wolldecke und einem alten vergilbten Kissen bestand und legte sich nieder. Tajur würde es schon merken, wenn jemand noch einmal wagen sollte sich unbefugt Zugang zu verschaffen, denn schließlich funktionierten seine Sinne noch bestens. Erschöpft und ermüdet fielen ihm bald darauf die Augen zu. Auf einmal fing es an zu donnern und zu krachen und Tajur schreckte auf. Es klang als sei der Himmel aufgebrochen und die Götter ließen ihren Zorn auf die Erde nieder. Es waren die Salven schwerer Kriegsartillerie, deren Geschosse rund um ihn einschlugen. Panisch blickte er um sich und alles brannte, überall stieg Rauch auf und Tajur war mittendrin in diesem Chaos. Schreie! Verzweifelte Bürger und Soldaten liefen an ihm vorbei, mit dem Ausdruck der Hoffnungslosigkeit in den leeren Augen. Gebäude stürzten ein und es erschallte das rhythmische Trampeln von mindestens eintausend Soldaten, die sich marschierend näherten. Er begriff, er war nicht mehr in der Höhle, sondern im Zentrum auf dem Marktplatz. Plötzlich verdunkelte sich alles vor ihm, doch inmitten dieser Dunkelheit sah er sie wieder – diese glänzende, blau schimmernde Rüstung die aus einem Material war, welches nur die Götter selbst schmieden konnten. Jedoch erkannte er lediglich dieses Symbol, ein schwarzer Drache und ein weißer Vogel – ein Phönix – vereinten einander in einem Kreis und darüber ein Schriftzug in einer Sprache, die er zuvor noch nie gesehen hatte und doch schien sie ihm vertraut. Diese Rüstung wirkte sehr mystisch und majestätisch auf den Jungen. Ein Speer, der wie aus dem Nichts genau auf ihn zugeflogen kam trennte seine Faszination von der göttlich anmutenden Rüstung wie eine Amme das Kind nach der Geburt von der Mutter trennt und genau in jenem Augenblick, als dieser Tajurs Körper zu durchbohren drohte, öffnete dieser schweißgebadet die Augen. “Puh, es war wieder dieser seltsame Traum. Jaks Kohlsuppe scheint mir nicht zu bekommen…“ sprach er zu sich selbst und wischte sich mit den Händen über sein Gesicht, den Schweiß zu entfernen. Mittlerweile hatte sich die Sonne zurückgezogen und noch immer war niemand im Versteck außer ihm. Tajur beschloss aufgrund dieser Tatsache die anderen zu suchen. Sie konnten sich schließlich nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Unbekümmert wie ein naives Kind und doch angespannt durch die Bilder seines Traumes verließ er das Versteck und verschwand in den Schatten schummrigen Lichtes, unwissend was ihn erwartete. Auf dem majestätischen schwarzen Reittier trappte er durch die Reihen seiner Truppen. Alle blickten voller Ehrfurcht zu ihm auf, Generalfeldmarschall Damarius, welch eine imposante Gestalt. Er war es, der vor vielen Jahren das Imperium um so viele Ländereien reicher machte, mit seinen damarischen Feldzügen ging er in die Kriegsgeschichte Karthesiens ein, seine Männer folgten ihm blind bis in den Tod und niemand vermochte es dem Generalfeldmarschall zu wiedersprechen. Selbst der Imperator hatte größten Respekt vor seinem höchsten Kriegsdiener. Damarius, schon zu Lebzeiten eine Legende, für seine Feinde war er der Todesengel von Kartharma, für seine Freunde, oder besser Verehrer, denn an Freunden herrschte ihm ein großer Mangel, der Erlöser oder sogar der Kriegsgott. Jede Reihe die er passierte ging in Kampfposition und erwartete seinen Befehl. Dann war er endlich an vorderster Front. Dort wo er immer zu kämpfen pflegte, was ihm wiederrum großen Respekt bei seinen Soldaten einbrachte. Die Luft wirkte wie aufgeladen vor mordlüsterner Spannung und die Augen der Männer sahen entschlossen aus: bereit zu töten, aber auch zu sterben. Jedoch war dies mit diesem Anführer auch keine große Überraschung. Der Kettenhund der Niederwelt, der Dämon und der größte Feldherr Evolons zog nun sein Schwert, schaute erhobenen Blickes über die Truppen und sprach mit einer Stimme, dass selbst die eigenen Männer zu erzittern drohten: „Männer, Brüder, Landsleute. Heute ist der Tag an dem ihr in die Geschichte eingehen werdet, als die Eroberer der heiligen Wüstenstadt Nantra, wo sich einst die Wege der Götter kreuzten und das Schicksal gebaren…“ seinen Worten folgte ein riesiges Getöse der Menge und lauter Jubel stieg empor: „Ihr werdet heute den karthesischen Traum leben, der in uns allen ruht. Denn ihr werdet nach all den Jahren der Opfer und Entbehrungen euren gerechten Lohn bekommen. Er liegt euch zu Füßen hier in Nantra. Nehmt euch alles was ihr kriegen könnt: Frauen, Gold, Essen oder was sonst euer tapferes Herz begehrt. Aber vergesst nie das Wichtigste – ihr tut dies nicht für euch oder mich, sondern für das große karthesische Imperium, welches durch euch lebt und atmet und ewiglich weiter bestehen wird!“ Die Begeisterung der Männer schien grenzenlos nach dieser kleinen Ansprache und sie waren noch angespannter als zuvor. Es war eine von Damarius Tugenden seinen Männern genau das zu sagen, was sie hören wollten. Schließlich war ein motivierter Soldat, um Längen gehorsamer als einer der unbegründet oder aus Zwang in den Kampf aufbrach. „Die Welt gehört uns! Holt sie euch!“ forderte Damarius, sein Arm vor Anspannung zum bersten gespannt und schon rollte die Kriegsmaschinerie vor. Katapulte und anderes Belagerungswerkzeug kamen zum Vorschein. Endlich war es soweit! Nach Hunderten von Jahren dauernden Eroberungskriegen war das Imperium zu neuer Macht erstarkt, um endlich wieder einen Blick in Richtung Shah zu werfen. Jedoch mussten sie, um dieses Königreich zu erobern, Savan und dessen Hauptstadt Nantra besetzen, um so einen strategischen Vorteil zu erlangen. Denn im Norden warteten diese widerspenstigen und primitiven Barbaren, die sich selbst die Clansmänner nannten. Es würde viel mehr Soldaten und Kriegswerkzeug benötigen um diese „Wilden“ zu züchtigen. Savan war die direkte Verbindung zwischen Karthesien und dem Königreich Shah und lange nicht so widerstandsfähig wie die Nordclans. Eine leichte Beute für eine Hungrige Bestie. Die erste Angriffswelle brach an. Die vorderen Reihen bestanden aus Fußsoldaten mit mittellangen Sarissen und großen Schilden. Sie waren Diejenigen, die den gegnerischen Pfeilhagel abfingen und den dahinter postierten Langbogenschützen Deckung gaben. Da sie seit Jahren Seite an Seite kämpften beherrschten alle Soldaten die Formationswechsel spielend. Sie wurden oft von ihren Feinden als Vorboten der Hölle bezeichnet, denn was ihnen folgte war mehr als nur eine Armee: Es war der Stolz Karthesiens... Tajur blickte um sich, doch alles präsentierte sich ruhig, die Straßen waren um diese Zeit wie leer gefegt und der kühle Abendwind, der durch die dunklen engen Gassen des Armenviertels wehte, war das Einzige was sich bewegte. Der Junge konnte es kaum glauben nirgendwo brannte Licht, überall herrschte Stille...zu still für Tajurs Geschmack. Als Straßendieb hatte er ein Gefühl dafür, wenn Ärger im Anmarsch war und sein Gefühl versprach nichts Gutes. Es gab nur einen Ort, an dem er antworten auf seine Fragen finden und wo er halbwegs sicher sein würde – der Goldkrug. Er machte sich so schnell wie möglich auf den Weg zur Taverne, jedoch hielt er sich versteckt, denn wer konnte wissen was auf den Straßen lauerte. Als er in die Gasse zum Goldkrug trat war er erleichtert. Er sah ein schwaches Kerzenlicht durch die schäbigen Fenster schimmern, die die Wärme wie eine milchig trübe Haut gefangen zu halten versuchten. Tajur betrat die Taverne und irgendetwas schien anders als sonst. Die herzliche Begrüßung Jaks blieb diesmal aus. Er fand ihn an die dunkle Bretterwand gelehnt, schrecklich zugerichtet. Sein rechtes Auge war geschwollen und schimmerte blau-violett und unter seinem leichten Baumwollhemd traten die blutig angeschwollenen Zeugen einer Prügelei hervor: „Hey Jak das mit heute, tut mir echt leid, die Jungs haben ihre Wut danach wohl an dir ausgelassen, was?“ Tajur versuchte seinen Humor anklingen zu lassen, aber der alte Jakobi bedachte ihn keines Blickes. „Ach ist schon gut Junge, ich hätte das gleiche getan. Besser ich alter Kauz als du junges Gemüse…“ Jaks Stimme war gedrungen und er säuselte, aber dennoch zwang er sich zu Lächeln und es schien ihm auch halbwegs zu gelingen, Tajur jedoch spürte, dass ihn irgendetwas bedrückte. „Setz dich. Hier der Rest vom Kohleintopf für dich!“ Der Junge zögerte verunsichert, setzte sich, schaute Jakobi an und fragte: “Sag mal Jak, wo sind denn alle hin und warum ist niemand auf der Straße?“ „Das ist leicht zu beantworten, Junge. Die sind alle am Verteidigungswall oder warum glaubst du bist du mein einziger Kunde heute Abend. Abends läuft das Geschäft eigentlich am besten, aber dieser verdammte Krieg...“ er holte tief Luft und sprach weiter „Naja und die, die nicht kämpfen sind in ihren Häusern und haben alle Lichtverbot, nur eine Kerze pro Raum darf scheinen, hat die Stadtwache so angeordnet. Es ist soweit der Feind steht vor der Tür und wir Junge, wir können nur zu den Göttern beten das sie uns verschonen!“ als er dies sagte seufzte er „Sie brauchen wirklich jeden Mann Tajur und deshalb haben sie auch alle deine Leute aus der Höhle mitgeschleppt.“ Tajur verschluckte sich fast an seiner Suppe und musste einen krampfenden Husten unterdrücken. Woher wusste Jak von der Höhle und noch viel wichtiger woher wusste er vom Schicksal der Anderen? „Ja ich weiß Bescheid, Tajur. Ich wollte das alles nicht, es tut mir Leid Junge, aber sie haben mir gedroht, wenn ich es nicht verrate werden sie mir alle Knochen brechen und mich einsperren.“ Tajur stand langsam mit offenem Mund auf er ging einen kleinen Schritt zurück „Du Jak? Du bist der Verräter, aber wieso? Ich meine, warum? Wir waren doch immer wie eine Familie...“ Auf einmal überkam Tajur ein Schwindelgefühl und er hatte Probleme das Gleichgewicht zu halten. Da waren sie wieder: Tot und Armut, Verrat und Einsamkeit. Sein ganzes Leben würden sie ihn begleiten. Hinter dem Vorhang, der ins Lager der Taverne führte, schoben sich die zwei Gestalten der Wachen in ihren blauen Gewändern hervor. Er konnte sie nicht mehr erkennen, aber die Stimmen drangen in seine Ohren und die Gewissheit überkam ihn wie ein Schwall kalten Wassers am Morgen. „Na Bürschchen hast du gedacht du kannst uns zum Narren halten! Wer glaubst du bist du? Niemand entkommt der Stadtwache ungestraft! Niemand!“ Es waren die zwei Wachmänner vom Vormittag und Jakobi hatte Tajur direkt ins Messer laufen lassen. Sollte dies sein Ende sein? Hier in dieser Kneipe, nach gerade mal siebzehn Jahren eines Lebens ohne Perspektive, verraten vom einzigen Menschen dem er je vertraute, seit er allein gewesen war? Für den Jungen brach alles zusammen, die ganze Welt richtete sich gegen ihn. „Ich hoffe die Suppe hat geschmeckt?“ höhnte die zweite Wache und sein hämisches Grinsen verschwamm vor Tajurs Augen. Er spürte wie ihm immer mehr das Bewusstsein abhandenkam. „Hoffentlich krepiert uns der Kleine nicht schon bevor wir ihn zur Mauer gebracht haben…“ bemerkte der Andere, während Tajur vergeblich versuchte Halt zu finden. Doch am Ende fiel er zu Boden und konnte sich nicht länger rühren. Er vernahm nur noch kurz Jakobis Stimme, die leicht säuselnd und bedrückt klang „Es tut mir leid, Junge! Es tut mir so unendlich leid!“ Doch Tajur hörte ihn nicht mehr. Das Betäubungsmittel wirkte und er lag bewusstlos auf dem harten, kalten Holzdielenboden, während ihm das Kerzenlicht auf der Haut schimmerte. Es war wieder dieser Traum, aber diesmal schien er noch realer als vorher. Plötzlich gab es einen riesigen Knall und der Junge, der vor ein paar Stunden noch dachte er sei Tod, befand sich nun am Nordwall Nantras versteckt hinter einer Mauer. Er blickte verstört um sich, doch was er sah war mehr als nur erschreckend. Soeben wurde der Wachturm neben ihm von dem Brocken einer riesigen Steinschleuder eingerissen. Alles was nicht erschlagen worden war floh in Richtung Schutzwall hinter der Mauer. Schreie, Blut und dieser strenge Geruch gepaart mit Staub und Asche erfüllte die Luft. Wo war er nur gelandet? Kawum! Der nächste Treffer schlug in die Mauer ein und unterbrach den Gedankenfluss des Jünglings. Wieder flogen die steinernen Trümmer der Befestigung durch die Luft und vergruben die Langsamen und Unglücklichen unter ihrer Last. Tajur zögerte nicht aufzustehen, doch er scheiterte beim Versuch, da das Ende seines viel zu langen Kettenhemdes, welches man ihm in der Bewusstlosigkeit angelegt haben musste, unter einem, in seiner Größe nicht unbedeutenden Stein steckte. Zusätzlich trug er abgelaufene, mit Blut befleckte Lederstiefel an seinen Füßen, die früher wohl einmal einem Riesen gehörten, denn sie passten überhaupt nicht. In der Hand hielt er ein verrostetes Kurzhandschwert, nicht gerade die geeignetste Waffe um einen Angreifer abzuwehren, gerade ausreichend, um damit einen Laib Brot zu teilen. Tajur wagte, in Anbetracht seiner ohnehin aussichtslos erscheinenden Lage, einen Blick über die Mauer, doch was er sah, war mehr als er je zu erträumen gewagt hätte. Eine riesige Horde! Mindestens eintausend Mann marschierten direkt auf ihn zu. Nur diesmal war es kein Traum, sondern grausame Wirklichkeit. Hektisch begann der Junge an dem rostigen Hemd zu zerren, um es vom Trümmerstein zu befreien, doch dieser wollte sich einfach nicht bewegen. „In Deckung!“ tönte es inmitten des Durcheinanders. Reflexartig gingen Tajurs Hände über seinen Kopf und er duckte sich. Ein Hagel kleiner Kugeln flog über sie hinweg, doch als diese die Erde berührten entfachten sie, jede für sich, ein heißes Feuer, welches die Atemluft verbrannte und einen seltsamen Druck erzeugte, welcher auch die stärksten Stein zu zersprengen schien. Tajur hatte noch nie gesehen, wie etwas so Kleines so viel Schaden anrichten konnte. Er wusste nur eines – Er musste so schnell wie möglich verschwinden und sich in Sicherheit bringen. Hinter den Wall, raus aus der Stadt, soweit weg wie möglich von Nantra. Zunächst unbemerkt von Tajur hatten die Explosionen den Stein zersplittert. Doch als der Bann der Faszination dieser neuartigen Waffe verging, sammelte er seine Kräfte und befreite sich unter größten Anstrengungen, die ihn das Blut in den Kopf schossen. Als er sich umdrehte, die Lage zu erfassen und einen Fluchtweg zu ergründen, erkannte Tajur erst wirklich was diese Kugeln anrichteten. Alle die sich zum Wall begeben hatten waren tot. Zerstückelt oder schwer verletzt lagen die Leiber dieser Menschen, mit denen er die Jahre in Nantra geteilt hatte auf dem Trümmerfeld. Vielen von ihnen fehlten Gliedmaßen und die Schreie die aus ihren geschundenen Kehlen drangen waren beängstigend. Tajur glaubte einige der blutverschmierten Gesichter zu erkennen und erstarrte. Selbst wenn er gewollt hätte, er konnte sich nicht mehr bewegen. Der Stein, der sein sicheres Todesurteil bedeutet hatte, rettete ihm am Ende das Leben. „Vorsicht Junge!“ Tajur drehte sich wieder den Angreifern zu und was er am Himmel erspähte, erschien ihm erst als ein riesiger Schwarm schwarzer Vögel, doch der Schwarm entpuppte sich bald als tödlicher Pfeilhagel, der regenartig auf die Verteidiger niederprasselte. Im letzten Augenblick konnte sich der Junge hinter einem großen Trümmerstein verkriechen. In Richtung Wall war er nicht sicher und von vorn kamen die Angreifer zu Hunderten immer näher. Wo sollte er also hin? Überall lauerte der Tod. Da durchzuckte ihn ein Gedanke wie ein Blitz und er erinnerte sich wie er und seine Diebesfreunde immer am Wall die alte Kerkerfalltür, die nun nur noch eine Klärgrube war, benutzten, um dort unerkannt zu plündern und selben Weges wieder mitten in die Stadt zu verschwinden. Von dort aus gelangte man in die Kanalisation und dort erst einmal angekommen konnte man überall hin. Ironischer weise dachte Tajur, dass es sich am Ende doch gelohnt hatte ein Leben im Untergrund und Dreck zu führen. Fokussiert auf den Eingang zu den unterirdischen Gefilden der Stadt, nahm er das Geschehen um sich herum gar nicht mehr wahr. Vielleicht wollte er es auch einfach nicht mehr, um sich weiteres zu ersparen. Die karthesischen Truppen waren indessen nur noch hundert Schritte von der eingerissenen Nordmauer entfernt. In einer exakt ausgeführten V-Formation marschierten die Soldaten auf Nantra zu. Noch neunzig...siebzig...fünfzig – das aufstampfen ihrer Stiefel auf dem Boden tönte, als ob der Tod persönlich anklopfte – dreißig Schritte und mit jedem Augenblick den sie näher rückten stieg die Panik der Verteidiger und auch Tajur wurde immer übler, je näher sie und die begleitenden rhythmischen Trommelschläge rückten...und schon waren sie angekommen und stürmten, unter großem Krawall und donnernden Getöse, welches ihre Kehlen verließ, in die Stadt. Tajur musste sich beeilen. Sie waren überall. Er blendete die Angreifer einfach aus und sah plötzlich nur noch den markierten Stein in der Mauer. Sein Ziel war ihm so klar vor Augen, wie eine Oase in den Weiten der Wüste. Er sprintete zielstrebig auf die Stelle zu, wobei ihn ein Speer der Angreifer nur knapp verfehlte. Ein schwerttragender Soldat erfasste Tajur mit seinen schmalen Augen und stürmte auf ihn zu. Der geschickte Dieb wich aus und parierte zweimal die generischen Schläge, doch da zerbrach sein rostiges Schwert endgültig. „Zeit zum Sterben Abschaum!“ grölte der Soldat ihm entgegen „Ich lass euch gern den Vortritt, edler Herr!“ erwiderte Tajur sprang scharfen Verstandes auf den Trümmerhaufen vor sich und trat mit voller Wucht, dem Gegner ins Gesicht. Dieser jaulte wie ein Hund auf und flog mit einem Salto rückwärts nach hinten, an den sich eine harte Landung auf dem Pflaster anschloss, die ihn sofort bewusstlos machte. Jetzt oder nie. Dies schien Tajurs einzige Chance zu entkommen. Er gelangte zur Falltür, doch auch diese war von Trümmern bedeckt. „Verdammter Mist, warum um Gottes Willen muss denn hier alles mit Geröll zugeschüttet sein!“ fluchte er wütend in das Kampfgeschehen und versuchte die Trümmer zu beseitigen. Er zog an der Klappe, dass ihm die Adern aus der Haut traten, aber sie klemmte. Unverdrießlich stemmte er sich gegen die Luke, doch nichts passierte, bis auf, dass mehrere Soldaten von Tajur Notiz nahmen und ihre Schwerter auf ihn richteten. Damarius lächelte äußerst zufrieden, als er sah wie seine Männer die Mauer stürmten und genoss den Moment in vollen Zügen. Seine Kriegsartillerie hatte wieder einmal beste Arbeit geleistet. Nantra war so gut wie erobert, schließlich war der Kern der Stadt, wie es ihm seine Spione berichteten, ganz ohne Widerstand. Nicht mehr lange und auch Savan würde ein Teil des Imperiums sein, wie es ganz Evolon bestimmt war. „Ich gebe diesen verlorenen Seelen noch drei Tage, dann fällt ihre ach so heilige Wüstenstadt. Seid ihr dabei Adjutant Lykos?“ erklärte Damarius und schnalzte mit der Zunge. „Ich halte dagegen euer Exzellenz!“ antwortete der Mann, der nun an der Seite seines Generals stand und selbst wirkte, als sei er dem Schoß einer Göttin entwachsen: „Ich sage der Widerstand ist noch lange nicht gebrochen. Die Stadthüter ahnten sicher schon vor Monaten, dass wir kommen würden und konnten daher einige Tricks und Tücken austüfteln. Sie halten, glaube ich, noch einiges zu unserer Überraschung bereit!“ Damarius erhob den Blick gegen Lykos und lächelte verächtlich, während er gelassenen Wortes sprach: „Ach ich wünschte ich hätte euren festen Glauben an den Einfallsreichtum der Menschen, aber ihr vergesst mein Lieber, dass sie es hier nicht mit irgendwem zu tun haben, sondern mit mir dem Kriegsgott persönlich!“ selbstverherrlichend spannte Damarius seine Arme aus. Er betrachte sich gern als Gottheit, wenn er allein mit seinem Vertrauten war. Es gab ihm dieses Gefühl von Macht und Überlegenheit, war er doch oft selbst beeindruckt von der Makellosigkeit seines Adjutanten, sowohl physisch, als auch charakterlich betrachtet. „Wie ihr meint mein Kriegsherr!“ antwortete der junge Adjutant Lykos hochachtungsvoll und deutete eine Verneigung an, indem er kurz den Kopf senkte und wieder hob. „Nun gut die Wette steht, mein Freund! Wollen wir doch mal sehen, ob diese beklagenswerten Geschöpfe eurem Glauben gerecht werden können.“ sagte Damarius mit voller Arroganz und Hochmut in der Stimme. „Für heute ist es genug die Nordmauer ist gefallen und das war erst der Anfang, morgen wird die zweite Angriffswelle auf die Stadt losrollen und sie endgültig vernichten!” Die Augen des Feldmarschalls traten aus ihren Höhlen und einen Augenblick wirkten sie wie Flammen, die seinen Schädel entstrebten: „Bereitet alles soweit vor Lykos, ich will morgen in ihrem Blut baden!“ „Jawohl mein Kriegsherr!“ entgegnete der Adjutant entschlossen und machte sich auf den Weg. Der Eingang des Zeltes schloss sich hinter Lykos und Damarius nahm auf einem komfortablen Stuhl aus bestem Ebenholz, das mit kostbarem Flies überzogen war, Platz, wobei er leeren Blickes auf das Glas blutroten Weines starrte: „Ihr werdet schon sehen...“ flüsterte er fragmentarisch und ohne jeglichen Ausdruck: „eure Seelen gehören mir…“ Er stieß ein lautes, höhnisches Lachen aus, welches schaurig durch das ganze Feldlager zog. In letzter Sekunde gab die Falltür den Anstrengungen nach. Tajur schaute nach unten und sah den Fäkaliensumpf der übelriechend auf ihn wartete. Er hielt sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu, schloss die Augen und sprang. Lieber stinkend überleben, als duftend sterben, war der letzte Gedanke, als er seine Füße voran in der stinkenden Brühe versank. Seinen Verfolgern schien es wohl umgekehrt zu gehen und niemand scherte sich ihn zu verfolgen. Am rettenden Rand des Kanals angekommen, vollkommen angeekelt, jedoch noch am Leben legte er sich kurz auf den kalten Steinen nieder. Seine Augen wurden dabei immer schwächer und die Lieder senkten sich langsam. Vor Erschöpfung fielen ihm die Augen letzten Endes ganz zu und er schlief ein, während über seinem Kopf ein hitziges Gefecht andauerte. Der Wind blies die kühle Luft durch die Abwasserkanäle und Tajur erwachte zitternd, aber vollkommen erholt. Jedoch begriff er schnell was ihm die Erholung nutzte, solange er völlig unterkühlt war. Es fröstelte dem Jungen aus Nantra am ganzen Körper. Er musste sich schleunigst irgendwo aufwärmen und da fiel ihm die Feuerstelle ein, an der er früher oftmals mit Jak und den Anderen ausgelassen die Götterfeste gefeiert hatte. Dies taten sie aber eher des Weines wegen, statt der Götter zu huldigen. Tajur hatte Glück, denn die mit Moos überwachsene Stelle war immer noch voll mit nahezu trockenem und brennbarem Feuerholz, welches den zitternden Tajur willkommen hieß. Der Junge befand sich nun, unter dem Zentrum des Industrieviertels von Nantra. Hier waren die Kanäle verseucht von Abfällen der Manufakturen und handwerklichen Betriebe. Daher, so war er sich sicher, würde er erst einmal ungestört sein. Hier, unter der stillgelegten Goldschmiede, die ihren Glanz schon vor Jahren gegen die Gestalt eines heruntergewirtschafteten Verstecks für Gesindel und Taugenichtse eingetauscht hatte. Ein Glücksfall, denn wie es das Schicksal so wollte, konnte Tajur über die Treppe aus dem stinkenden Kanal direkt in die Schmiede emporsteigen. Dort lagerten noch einige Reste die es zu verwerten galt, wie auch eine alte Arbeitsuniform des Schmiedes, die sich Tajur zurechtstutzte und überstreifte. Das Kettenhemd kürzte er auf seine Größe, in dem er die einzelnen Ösen mühsam mit einer alten Zange auftrennte. Nach längerer Suche in den staubigen Lagerräumen stieß er auf zwei brauchbare Dolche und einen Bogen mit einem Köcher, nur ohne Pfeile. Danach setzte er sich an den Heizkessel der alten Schmiede und entfachte, mit dem von unten heraufbeförderten Holz, ein Feuer. So hatte er es tatsächlich wieder geschafft zu überleben. Während er sich am Feuer wärmte und seine bis dato vom Frost erfüllten Hände aneinander rieb, schossen ihm viele Fragen durch den Kopf. Wie es wohl Jak und den Anderen ging? Wie weit die Angreifer schon vorgerückt waren? Wo die Überlebenden sich aufhielten? Und vor allem wie er unbemerkt aus der Stadt fliehen konnte? Er hüllte sich in eine verstaubte und von Motten zerfressene Wolldecke und ruhte. Tajur verbrachte mindestens zwei Wochen allein in der alten Schmiede, bis ihm das Holz zum heizen ausging und er gezwungen war diese zu verlassen, denn ein jeder wusste, dass die Wüstennächte in Ceron tödliche Kälte beherbergten und diese erbarmungslos durch den Wind verstreut wurde. Er musste also seinen schützenden Unterschlupf zurücklassen, um Holz zu suchen. Vorsichtig pirschte er durch die Trümmer des verlassenen Viertels. Keine Maschine lief, kein Dampf stieg aus den Schornsteinen der Manufakturen in den Himmel. Nantra war berühmt für seine Glasereien, aber nichts dergleichen konnte er sehen, geschweige denn hören. Das Einzige, was Tajur immer hörte waren Einschläge von Geschossen und Explosionen in einiger Ferne. Die Schlacht um Nantra dauerte unentwegt an, was bedeutete, dass es noch Widerstand geben musste, was sich Tajur zu nutzen machen wollte, denn wo auch immer der Widerstand sein Lager hatte – dort musste es auch eine Versorgung mit Lebensmitteln geben, sowie Ruhestätten und am wichtigsten Möglichkeiten sich überall Zugang zu verschaffen. So würde er bestimmt einen Weg nach Draußen finden. Schon schlug ihm der kühle Nachtwind ins Gesicht und richtete seine Gedanken wieder auf sein unmittelbares Ziel. Er brauchte Holz. Aufgeregt rannte der Soldat die Treppe hinauf. „Euer Exzellenz, euer Exzellenz! Wir haben sie, wir haben ihr Lager im Zentrum der Stadt lokalisiert und die Truppen warten auf eure Befehle!“ stammelte der Mann keuchend oben am Ende des Turms angekommen. „Endlich, das wurde ja auch Zeit…” konstatierte der General und schloss eine Hand kraftvoll um den Knauf seines Schwertes, dessen Stahl schwärzer war als die Dunkelheit selbst: „Macht die Männer abmarschbereit! Wir haben unsere Zeit lange genug an diesen verfluchten Ort verschwendet.“ „Und ihr meintet, dass wir diese Stadt im Sturm erobern General? Nun ja, ich scheine unsere Wette wohl gewonnen zu haben?“ Lykos war indessen aus einer halb zerstörten Kammer im hinteren Teil des Turmes, welcher zu den Überresten der Nordmauer gehörte, hervorgetreten und sah seinen Oberbefehlshaber selbstsicher und etwas herausfordernd mit seinen blauen Augen an. Damarius der die Stimme seines Adjutanten hinter sich vernommen hatte verschob seinen rechten Mundwinkel nach oben und sprach erst seufzend, doch dann kräftiger werdend: „Ja ich muss zugeben, dass ich diese Mickerlinge unterschätzt habe, aber wer konnte denn ahnen, dass sie einen Partisanenkrieg in diesen Mauern mit uns führen. Doch ihr Katz und Mausspiel zögert das Unvermeidliche nur heraus. Nun da wir ihre genaue Lagerposition haben werden wir sie zerschmettern!“ Die Feuer der Passion schlugen ihm ins Gesicht und er blickte verträumt in den Nachthimmel. „Die Männer wären dann soweit General…“ unterbrach ihn ein weiterer Soldat, der den Turm hinauf gestürmt war. „Sehr gut!“ sammelte sich Damarius und gab seine Befehle in gewohnter Manier: „Ich werde die Truppe persönlich anführen! Adjutant Lykos, ihr werdet die Artillerie auf das Zentrum richten und sie mit unsere Geschossen vernichten. Wir übernehmen den Rest.“ „Jawohl, Generalfeldmarschall!“ versicherte Lykos und verließ den kargen Raum, den sein General gegen ein überaus prächtig ausgestattetes Zelt eingetauscht hatte, um eine bessere Übersicht über die Stadt zu erlangen. Nur wenige Minuten später zog Damarius mit seinen Reitern in Richtung des Lagers. Erst vor wenigen Tagen war es ihm gelungen den Nachschub der Verteidiger von außerhalb abzuschneiden. Nun saßen diese in der Falle, mit einem Mangel an allem und dem Feind im Rücken. So, wie es Damarius von langer Hand geplant hatte. Der Fall Nantras war nur noch eine Frage der Zeit. Damarius ließ seine Männer an strategisch wichtigen Punkten Stellung beziehen. Auf sein Signal hin, welches ein Lichtzeichen darstellte, das durch eine der neuartigen Explosionskugeln entfacht wurde, näherte sich die Artillerie dem mutmaßlichen Lager auf knapp dreitausend Fuß Luftlinie. Sie bestand aus Riesenschleudern und Katapulten, die durch starke Schilde geschützt waren und an ihren Rängen Platz für Bogen- und Armbrustschützen boten. Neben den Geräten ritten die gepanzerten Reiter auf ihren Stubors - drachenähnliche Echsen, die jedoch in ihrer Statur mehr einem Bären glichen. Sie besaßen eine harte Schuppenhaut, die wie Schildplatten aufeinander geschichtet war, sodass sie keine zusätzliche Panzerung benötigten. Mit einer Länge von fast neun Fuß und ihrer vegetarischen Gesinnung waren sie die perfekten Reittiere zum Transport, sowie Geleitschutz von großen Kriegsmaschinerien. Als die Artillerie ihre Positionierung beendet hatte, gab Damarius ein weiteres Handzeichen und eine Kompanie trat heraus. Die Soldaten trugen leichte Rüstungen, kleine Schilder, sowie Kurzhandschwerter für den Nahkampf. Ihre Helme waren golden und ihr Zerius, ein Führer der Hundertschaft, trug einen vierstrahligen Stern im Rot des Kaisers. „Ihr kennt euren Auftrag! Lenkt die Nantriten ab! Auf das Signal hin lasst ihr euch zurück fallen und dann kommt unsere explosive Überraschung.“ Damarius konnte sein höhnisches Grinsen nicht zurückhalten, zu sehr genoss er diese Momente, die ihm weiteren Ruhm und Macht versprachen: „Lasst uns Ungläubige jagen, Männer!“ rief der Zerius seinen Untergebenen zu und diese beantworteten seinen Aufruf mit einem kurzen, kräftigen Kriegsschrei. So stürmten sie los. Wie eine Herde wilder Tiere, trampelte die Horde direkt auf das Lager zu. Die Verteidiger schienen überrascht konnten jedoch schnell kontern, da sie zahlenmäßig überlegen waren. Ein wilder Schlagabtausch vor der Bibliothek Nantras war die Folge. Die Nantriten gewannen langsam die Oberhand, doch plötzlich erschallte der Klang eines Horns in der Ferne. Dann eine Explosion und ein regelrechter Lichtblitz, und ein Teil der Stadt brannte. Die Kompanie ließ sich, wie befohlen zurückfallen und ein Augenblick trügerischer Stille trat ein. Was jedoch dann auf die Verteidiger Nantras traf, war der geballte Zorn des Damarius. Wieder flogen Pfeilhagel auf die aus der Deckung gekommenen Nantriten nieder. Diese versuchten zurück in die Bibliothek zu fliehen, aber das Gebäude stand bereits in Flammen. Feuerpfeile erfüllten die Luft von der gegenüberliegenden Seite. Auf einmal gab es einen lauten Knall und große Strohballen, die lichterloh brannten, rollten die Straße entlang direkt auf die Bibliothek zu. Die Verteidiger waren eingekesselt worden und hatten es durch den vorherigen Angriff nicht bemerkt. Sie fanden sich umzingelt von einem nicht zu bezwingenden Gegner wieder, der ihnen mit der Hitze seine rausgestreckten Arme die Haut vom Fleisch riss. Dann folgten die großen Geschosse der Katapulte direkt in das Zentrum des Widerstandes, immer wieder begleitet von diesen kleineren, explodierenden Rundkörpern die sich in der Luft verstreuten und einen Schleier des Todes hinterließen. Schließlich ließ Damarius seine Infanterie vorrücken und sie stürmten auch die letzten Überlebenden nieder. Der Widerstand wurde endgültig gebrochen, doch Damarius stimmte etwas stutzig. Es war einfach zu leicht gewesen und er hatte mit mehr Gegnern gerechnet. Wie sonst hatten sich die Nantriten über eine so lange Zeit widersetzen können. Plötzlich sah er am Himmel ein schwaches Leuchten. Es musste ein Signal sein, aber keines der imperialen Streitkräfte. Die Truppen waren so auf das Zentrum um die Bibliothek herum konzentriert, dass sie eng aneinander gereiht in den Straßen standen. Damarius fiel es wie Schuppen von den Augen, dass nun er abgelenkt wurde und seine Truppen umzingelt waren. Die Stadt ging in einem Meer aus Feuer auf und ein Flammenring mit einem Umkreis von zweieinhalb tausend Fuß schloss Damarius Truppen ein. Die Artillerie war auf sich allein gestellt und schutzlos. „Diese verdammten Bastarde!“ donnerte es aus Damarius Kehle: „Sie hatten das von Anfang an geplant uns ins Zentrum zu locken, um uns danach einzukreisen! Jetzt brennen sie sogar ihre eigene Stadt nieder, nur um uns zu vernichten. Wirklich einfallsreich,…” er pausierte und seine Mimik änderte sich zu einem absurd erscheinenden Ausdruck der Begeisterung: „Aber Zwecklos. Mit so etwas muss man als Anführer immer rechnen und das habe ich. Glaubt nicht ihr hättet schon gewonnen!“ Damarius stieg von seinem edlen Ross und zog seine dunkel glänzende Klinge. Seine Männer verfielen nicht in Panik, sondern rückten eng in Kreisformation zusammen. Nur die Speere schauten aus dem Schildpanzer hervor. Damarius wusste, wenn sie nach außen ziehen wollten warteten die Feinde schon auf sie, um sie mit Pfeilen einzudecken. Das Feuer war zwar ein unüberwindbares Hindernis für Damarius Truppen doch ebenso ein idealer Schutzwall. Der Generalfeldmarschall wusste genau was er tat. Er blieb mit seinen Männern in Mitten des Feuers stehen und wartete in geschlossener Rundschildformation. Keine Pfeile konnten den Schildpanzer durchdringen und jeder Angreifer, der den Nahkampf wählte bekam es mit den Speeren zu tun. Außerdem gab es in den Reihen der Nantriten keine Streitwagen oder Ähnliches um die Formation aufzulösen. Darüber hinaus waren die Straßen ohnehin viel zu eng dafür. So verharrten sie, die Entschlossenheit in ihren Augen und die Erkenntnis des nahen Sieges hinter der helmgeschützten Stirn. Sie wussten ihr General hatte etwas vor und das bedeutete nichts Gutes für ihre Feinde. Tajur sah das aufblitzende Signal über seinem Kopf hinwegschweben und war wie geblendet als er das riesige Feuer am anderen Ende der Stadt erblickte. Seine Heimat brannte und er wusste, dass spätestens jetzt der beste Zeitpunkt gekommen schien zu verschwinden. Er ließ das Holz, welches er gesammelt hatte, unbedacht auf den Boden fallen und rannte so schnell er konnte zurück zur Schmiede. Verworfen waren die Pläne des Findens der Rebellen. Er war sicher, dass dort ein riesiges Gefecht im Gange sein musste und sich alle Welt auf diesen Punkt konzentrierte. Genau diese Tatsache würde der findige Straßenjunge ausnutzen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die paar Soldaten, welche die Karthesier sicherlich am Stadtrand postiert hatten, würde er auch so umgehen können. Plötzlich stoppte etwas den Enthusiasmus des Jungen und sein Schritt verlangsamte sich bis er schließlich nur noch da stand und das Geschehen um ihn herum erfasste. Das vor ihm auf der Straße waren Menschen, sogar richtig viele Menschen. Frauen, Kinder, Alte, Verletzte, Kranke und Schwache. Es mussten die Flüchtlinge sein. Aber solch eine Masse und auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht? Da musste etwas Großes am Werk sein. Er ging auf eine alten Mann zu und fragte ihn: „Hey Alterchen, was ist denn hier los was macht ihr alle hier?“ der alte Mann sah ihn verdutzt an, aber dann sprach er mit seiner vertrockneten alten Stimme: „Junge warum kämpfst du nicht mit den Anderen oder bist du zum Geleitschutz hier wie die da hinten?“ Tajur traute seinen Augen nicht und blickte ungläubig in die Richtung, die der Alte mit seinem knöchernen Finger wies. Das war doch nicht möglich! Dort sah er tatsächlich seinen alten Kumpel Tobi, in einer Uniform der Nantriten, sogar mit Rangzeichen. Er bedankte sich kurz und wandte sich dann ab, um Schnurstraks auf diesen zu zugehen: „Tobi! Tobi bist du es?“ der Soldat drehte sich um, betrachtete Tajur dann erfüllte ein warmes Lächeln sein Gesicht: „Das gibt’s doch nicht Goldjunge, du lebst? Naja, bei deinem Geschick hätte ich mir das eigentlich denken können.“ Tobier, wie sein voller Name lautete, musterte seinen Freund und gab schmunzelnd hinzu: „Und wie ich sehe, hast du es bis jetzt geschafft dich vor der Verantwortung zu drücken!“ Goldjunge. Diesen Namen hatte Tajur schon ewig nicht mehr gehört und es tat gut ihn zu vernehmen. „Sag mal Tobi was ist passiert, was ist hier eigentlich los?“ Tobis Gesicht strahlte ihn nun völlig weltfremd an: „Sag mal Tajur warst du die letzten Tage im Vollrausch? Wir evakuieren die Stadt. Nantra versucht sich noch einmal mit allen Mitteln gegen das Imperium zu stellen, aber...“ seine Stimme wurde leiser „Wer weiß wie das Enden wird. Jedenfalls geleiten meine Männer und ich die Flüchtlinge hier raus.“ Der junge Straßendieb drehte sich kurz, die Szenerie genau zu erfassen und sah um sich herum etwa annähernd zwei Dutzend Soldaten, die die Flüchtlinge zu den Seiten absicherten und den Weg aus der Stadt geleiteten. „Du und deine...Männer?“ Tajur schaute ihn erstaunt und fragend an, wobei seine großen stahlblauen Augen aufgeregt zu flackern schienen: „Ja mein Freund. Ich bin jetzt Sergeant Tobi und führe ungefähr zwanzig Soldaten. Weißt du Goldi…“ seine Stimme war vom süßen Ton der Poesie ergriffen und seine Worte wirkten ungewöhnlich heroisch: „als sie mich geschnappt hatten, also die Stadtwache, dachte ich nur – das wird mein Ende sein. Aber während der kurzen Ausbildung und den Gefechten um Leben und Tod habe ich gemerkt, dass mein Leben mehr Sinn hat als nur Leute zu bestehlen. Tajur, die Armee hat mir gezeigt, dass jeder etwas bewirken kann und zu etwas Höherem bestimmt ist…“ Tajur dachte, er hörte nicht richtig und schüttelte sein Haupt voller Verwirrung. Tobier der größte Verfechter der Anarchie und Gesetzeshasser sprach von Regeln und Bestimmungen, Pflichten und Hilfe? Tajur war nicht sicher was der Sergeant erlebt hatte, aber es musste wohl ein starker Schlag auf den Kopf gewesen sein, denn so hatte er seinen Freund noch nie reden gehört. Tobi beobachtete seinen alten Freund mit Amüsement und sprach dann erklärend: „Ja Goldi, das Leben hat seinen Sinn, man muss nur danach suchen. Hier habe ich die Möglichkeit Menschen zu helfen und etwas zu bewirken.“ „Menschen helfen?” fiel ihm Tajur ins Wort und starrte ihm aufgebracht entgegen: „Tobi, bist du schon mal auf die Idee gekommen, was diese Menschen denn so Großartiges für dich getan haben? Sie haben dich ausgestoßen, ausgegrenzt und ausgelacht. Nichts hatten sie für dich übrig und jetzt meinst du, du kannst ihnen helfen? Ich frage dich warum solltest du, wo sie dir doch auch nie geholfen haben?“ Tobi blieb einen Augenblick still, dann schaute er Tajur mit einem ernsten Blick an: „Siehst du Tajur, das ist eben der Unterschied zwischen uns. Ich habe gelernt, was es heißt zu vergeben, weil man nur gemeinsam bestehen kann – besonders im Gefecht. Ohne gegenseitiges Vertrauen läuft da nichts.“ Tajur schwieg er konnte es einfach nicht fassen. Sein bester Freund war einer von diesen dummschwätzigen Soldaten geworden. „Ich schätze mal du willst raus aus der Stadt, Häh?“ fuhr Tobier unentwegt fort: „Ich könnte noch einen tatkräftigen Mann gebrauchen, je mehr desto besser! Du bekommst Nahrung, einen Schlafplatz und eine neue Ausrüstung. Ach so, und ein frisches Bad. Mein Gott du riechst wie die Kanäle von Nantra!“ Tajur schaute an sich herunter und roch einen Moment an dem baumwollenen Hemd, dass er unter seinem Kettenhemd trug, als ihm Tobi drängend entgegnete: „Also was sagst du?“ Tajur überlegte kurz dann sagte er „Na gut aber nur unter der Bedingung das ich nicht zu eurem Armeehaufen gehöre. Wenn wir die Mauer überwunden haben bin ich weg!“ „Gut! So soll es sein, alter Freund.“ Tobi lächelte und winkte einen seiner Männer zu sich. Er befahl ihm die genannten Dinge zu besorgen, bis auf das Bad, das musste noch warten, denn für Körperpflege war keine Zeit. „Hier werden wir unser Nachtlager aufschlagen, die imperialen Truppen brauchen mindestens einen Tag um uns durch dieses Trümmerfeld einzuholen und unsere Truppen halten sie gut ich Schach.“ Kaum hatte Tobi diese Worte gesprochen schon gaben seine Männer die Handzeichen zum Rasten und die Kolonne kam zum Stehen. Damarius grinste unaufhörlich. Unübersehbar schien er auf etwas zu warten. Die Frage war nur: Auf was? Das Feuer fraß sich immer näher an seine Stellung heran und drohte sie alle zu verschlucken. Der Feind lauerte darauf, dass sie sich aus dem Feuer befreien wollten und eine Spannung, die einem die Kehle zuschnürte, lag in der Luft. Dann wagte einer der Männer es, das Wort an seinen großen Anführer zu richten „Mein Gebieter, auf was warten wir? Die Flammen sie… sie rücken immer näher?“ „Ganz ruhig Männer! Ich werde euch verraten auf was wir warten…“ Die dämonischen Augen des Feldmarschalls weiteten sich und blickten in den dunklen Himmel: „Auf den Regen!“ ein Raunen ging durch die Reihen und sie alle waren plötzlich vollkommen erleichtert. Es war niemandem aufgefallen, aber Damarius hatte den Angriff genau dann begonnen, als er bemerkte, dass es bald regnen würde, um genau eine solche Situation zu entschärfen und er wusste , dass die Nantriten alles tun würden um die Verluste des verhassten Imperiums in die Höhe zu treiben und ihre geliebte Stadt und ihr Land gegebenenfalls nicht zu verlieren. Auch wenn Damarius arrogant und hochtrabend war, so wusste er als erfahrener Kriegsherr eines gewiss: Unterschätze niemals den Feind. Außerdem liebte er es, das Wetter für sich und seine Männer zu nutzen, so hat er schon viele Schlachten gewonnen. Die klimatischen Gegebenheiten ausnutzend, hatte er seine Feldzüge geplant. Im Nachhinein erschien es stets als Wille der Götter, dass er siegreich vom Felde zog. Dies war es auch, das der Bevölkerung in den eroberten Gebieten die Hoffnung nahm, dass ihre heidnischen Götter sie erretten würden, denn schließlich hatten sie diesem Drachen zum Sieg verholfen. Und so öffneten sich die Himmelsschleusen und es begann zu regnen wie es nur alle zwanzig Winter in Nantra geschah und die Karthesier wussten, was sie zu tun hatten. Sie rückten unaufhaltsam vor und überrannten die offenen Feinde. Jene, die sich in den Gebäuden verschanzten wurden herausgetrieben und auf der Stelle geköpft oder die Häuser wurden einfach von der Artillerie zerschmettert. Denn diese hatte Damarius mit gutem Gewissen seinem eingeweihten Adjutant überlassen. Als sie das Feuer getrennt hatte, erfolgte natürlich ein Angriff auf die vermeintlich schutzlosen Kriegsgeräte. Damit hatte Damarius jedoch bereits im Voraus gerechnet und so hatte er befohlen einen Teil seiner Männer unter den rollenden Maschinen zu verstecken und bei einem Angriff hervorzuschnellen. Welch ein glorreicher und glanzvoller Sieg für Damarius! Mit seiner Wettertaktik hatte er wieder einmal seinen Legenden- und Götterstatus bestätigt und seine Männer waren wie immer fasziniert vom Kriegsgeschick ihres Generals. Nantra befand sich nun in den untergangversprechenden Händen des Kaisers und seines obersten Heerführers: „Nehmt euch was euch zusteht Männer!“ Nach über einem halben Mond war es dem Imperium endlich gelungen Nantra niederzustrecken. „Wir werden angegriffen!“ wurde Tajur aus seinem ruhigen Schlaf gerissen. Er raffte sich auf und stolperte über die trümmerbedeckte Pflasterstraße auf Tobier zu: „Goldi schnell du musst die Leute über die Brücke führen. Wir geben euch Deckung. Ich hatte es geahnt sie haben unseren Trick durchschaut und das Zentrum nun endgültig erobert, aber ich hätte nicht vermutet, dass sie so schnell hier sein würden.“ Er griff Tajur bei den Schultern und sprach, ihn ängstlich, aber entschlossen ansehend: „Tajur, hör mir jetzt genau zu! Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Führe die Leute über die Brücke und dann zur Stadtmauer. Wenn meine Jungs, die ich gestern los geschickt habe, noch unter den Lebenden weilen, dann sollten dort Wagen auf die Flüchtlinge warten. Darum bitte ich dich…“ Verzweiflung keimte in seinem Ton auf und er musste sich sammeln: „Danach ist unsere Abmachung nichtig und du kannst gehen wohin du willst...“ Ein Knall in nicht allzu weiter Entfernung unterbrach den Sergeant. „Aber was ist mit dir und den anderen Männern?“ erwiderte Tajur und auch er klang dem Verlust jeglicher Hoffnung nahe. „Schon gut Tajur! Wir haben alle einen Eid geschworen und werden mit Nantra untergehen. Aber nun geh endlich, wir kommen schon klar! Ich hoffe, dass ich dich irgendwann wiedersehen werde...Freund!“ er sagte dies mit einer Wärme und Wohlwollen in der Stimme, die Tajur tief bewegte und klopfte ihm anschließend auf die Schulter. Danach schubste er ihn den laufenden Massen hinterher. Tajur, ein Anführer? Aber wie sollte er das denn anstellen? Er konnte doch grade einmal für sich selbst sorgen. Als er einen Blick über seine Schulter warf, sah er wie sich die angreifenden Massen auf Tobi und seine Männer stürzten, wie eine Sintflut aus scharfen stählernen Leibern, diese aber nicht zurückwichen. Er würde es tun! Für seinen Freund. Ein Gefühl des Mutes und der Entschlossenheit machte sich in dem Jungen breit und er schrie mitten in die Massen hinein: „Hey! Wenn ihr überleben wollt dann bildet zwei Reihen und lauft über diese Brücke!“ doch er war kaum zu hören in dem Tumult. Niemand vernahm oder achtete auf ihn, die Panik war einfach nicht zu stoppen. Doch eine innere Stimme flüsterte ihm, er dürfe nicht verzweifeln und müsse es erneut versuchen. Tajur hob seine Schultern, holte tief Luft und entließ ein Dröhnen, dass seine Lunge im Innern seiner Brust zu barsten drohte, aus seinem Hals. Diesmal kam etwas anderes aus seinem Inneren hoch als die Stimme eines jungen Mannes. Es schwoll zu einem tiefen und kraftvollen Donner an, dessen Echo durch die ganze Stadt zu hören gewesen sein musste. Für einen kurzen Augenblick blieben die Leute wie erstarrt stehen und schenkten dem Jungen ihre Aufmerksamkeit. Tajur griff sich an die schmerzende Brust und sprach keuchend: „Wenn ihr Leben wollt dann lauft in zwei Reihen über diese Brücke! Am Ende der Mauer warten Reiter auf euch, also macht das ihr hier weg kommt!“ die Leute reagierten sofort und tatsächlich taten sie das, was der kleine Taschendieb aus Nantra ihnen befohlen hatte. Ihm stellte sich die Frage, was soeben mit ihm geschehen war, aber er hatte keine Zeit sich damit zu befassen. Tobi und seine Männer waren in der ungeordneten Schar von Speeren und Schwertern verschwunden und die Angreifer widmeten sich den Flüchtlingen. „Junger Herr, sie sind bald an der Brücke!“ jammerte ein Verletzter. Tajur fasste wild entschlossen den Griff seines Kurzschwertes und stellte sich der angreifenden Meute entgegen. Kein Unschuldiger sollte mehr sterben. Er hatte es versprochen. So stand er dort – der Taschendieb aus den Straßen Nantras, dessen Leben vom Tod und Unglück begleitet wurde. Er stellte sich nicht der karthesischen Armee, sondern eben diesen zweifelhaften Freunden, die er als sein Schicksal erkannt hatte. Ihm war es plötzlich völlig gleichgültig, dass er höchst wahrscheinlich sterben würde. Er wollte nur diesen Menschen helfen, die ihn brauchten und so lange nicht der Letzte von ihnen die Brücke überquert hatte, würde er nicht von seiner Stellung weichen. Den Jungen umgab auf einmal eine Aura, die unbeschreiblich war und wie die unsichtbaren Auswüchse stahlblauen Feuers aus seiner Haut fuhren. Er streckte die ersten beiden Kontrahenten mit einem Hieb nieder. Dem ersten stieß er die rostdurchzogene Klinge von unten zwischen das letzte Rippenpaar, um dann aufzutauchen, dem senkrechten Schwertstreich des Zweiten auszuweichen und ihm die Klinge von rechts nach links über den Hals zu führen. Es schien, als ob ein Geist von seinem Körper Besitz ergriffen hatte und diesen lenkte. „Ihr kommt hier nicht durch!“ tobte er wie im Wahn, jedoch völlig klaren Verstandes seinen Gegnern entgegen: „Kehrt um! Oder nehmt es mit mir auf!“ Der letzte angeschlagene Flüchtling konnte die Brücke überqueren. Tajur schaltete blitzschnell. Die Brücke musste zerstört werden. Er parierte ein paar weitere Schläge und rannte mit schier übermenschlicher Geschwindigkeit zur Brücke, um mit einem einzigen Schnitt die Seile zu zertrennen. Die einfache Konstruktion fiel in den Kanal, der die Stadt mit dem Wasser der Oase versorgte und trieb auf der Oberfläche langsam davon. Die Menschen waren gerettet: Fürs erste. Doch bezahlte Tajur den Preis dafür, denn im gleichen Moment erfasste ihn ein heißer Schmerz am ganzen Leib und riss ihn zu Boden. Zwei wuchtige Pfeile hatten ihn getroffen. Einer steckte in seinem Rücken, ein anderer hatte seinen linken Oberschenkel durchbohrt. Tajur betrachtete wie das Blut aus seinem Schenkel, wie ein Gebirgsbach sein Bein hinunterstürzte und presste seine Zahnreihen verkrampf aufeinander. Er nahm seine Kraft zusammen und kam, sich mit seinem linken Arm auf seinen gesunden Schenkel stützend, wieder auf die Beine. Er wandte sich um und erntete einen Schwertstreich, der seinen Bauch zwar nur streifte, aber die Oberhaut aufschlitzte. Vollkommen hilflos und überrumpelt brach er erneut zusammen und schlug mit dem Kopf hart auf den Steinen auf. Das war es. Das Ende des tapferen Diebes, der schließlich sein Leben für Menschen gab, die ihn einst verstießen. Hustend und nach Atem ringend kauerte Tajur sich zusammen und verdrehte die Augen nach Osten. Er schwor sich die morgendlichen Strahlen der Sonne zu sehen und blickte verträumt durch die Blutverschmierten Wimpern. Wenigstens hatte er endlich mal etwas wirklich Gutes getan... Damarius bestieg feierlich den Sitz des Bürgermeisters von Nantra. Seine Männer jubelten ihm zu und Lykos entrichtete ihm seine Anerkennung mit dem Kriegsgruß des Kaisers, bei dem die rechte Hand zunächst die Stirn berührte, um dann zur Faust geballt neben den Körper in Höhe der Augen gehalten zu werden. Es waren diese Momente in denen der junge Adjutant stolz war, dem größten Helden Karthesiens zu dienen. Auch wenn seine Methoden manchmal etwas rabiat erschienen, so tat er dies alles doch nur zum Wohle des Imperiums. „Lykos, wie geht es voran, haben wir die Flüchtlinge gefunden?“ Unfassbar! Auch im Glanze des Sieges konnte nichts den scharfen Verstand des Generals trüben. Adjutant Lykos antwortete, etwas überrumpelt: „Ja mein Kriegsherr sie wurden in der Nähe des Manufakturviertels gesichtet; auf dem Weg zur Stadtmauer. Aber ich habe alles in die Wege geleitet um sie einzufangen, euer Exzellenz.“ Damarius diabolisches Grinsen verzog seine Mundwinkel abstrakt als er mysteriösen Tones antwortete: „Nun gut dann werdet ihr bald euren Preis erhalten, mein Guter.“ „Mein Kriegsherr, ich verstehe nicht?“ der Adjutant sah seinen General fragend und mit einem Ausdruck unterdrückter instinktiver Angst an. Hatte er irgendetwas Falsches getan und sollte dieser Preis, von welchem Damarius sprach, eine Umschreibung für sein baldiges Ende sein? Damarius, der die Verwirrung in den Augen seines Adjutanten lesen konnte setzte erheitert hinzu: „Ach ihr amüsiert mich immer wieder, Lykos. Ich überlasse euch Nantra und alles was dazu gehört. Das habt ihr euch schließlich verdient, nach eurer gewonnenen Wette!“ Er lachte kurz dann sah er seinen verdutzt dreinschauenden Adjutanten an „Ihr scheint euch bestens mit diesen Menschen auszukennen, wie sonst hättet ihr ahnen können, dass unsere Belagerung nur so schleppend voran gehen würde. Ihr wisst Wettschulden sind eine Sache der Ehre, also nehmt euch euren verdienten Preis. Die Stadt gehört euch! Lykos, Adjutant und Präfekt von Nantra!“ „Aber Generalfeldmarschall...“ die volle Bezeichnung von Damarius militärischen Rang benutzte Lykos nur wenn er aufgeregt oder ernsthaft verwirrt war. „Das ist zu viel der Ehre. Ich meine, es war euer grandioser Plan und eure Taktik. Ich habe nur meine Befehle ausgeführt und… “ „Eben aus diesem Grund!“ fiel ihm Damarius ins Wort und erhob sich vom Sitz des Regierenden in Nantra: „Hätte ich gleich auf euch gehört, hätte ich dieses Fleckchen Erde schon viel früher eingenommen und egal was ihr jetzt sagt, ich habe vom Imperator höchst persönlich die Befugnis erhalten, die Stadthalter in den eroberten Gebieten einzusetzen. Nun denn Herr Präfekt, nehmt euren Platz ein…“ Er wies mit einer nickenden Bewegung seines mäßig gebräunten Hauptes in Richtung des hohen Stuhls: „Ich werde veranlassen, dass der Imperator Kenntnis von euren Heldentaten, die ihr ganz ohne mein Zutun vollbracht habt und von eurer neuen Funktion erhält. In euch steckt eben ein echter karthesischer Offizier.“ Damarius schien stolz auf Lykos zu sein und legte ihm die behandschuhte Rechte auf die Schulter. Normalerweise berührte Damarius nur ungern seine Männer, ob nun Offiziere oder nicht, doch bei seinem Meisterschüler machte er eine Ausnahme. „Wenn wir die Flüchtlinge erst einmal gefangen genommen haben, können wir im Manufakturviertel einen weiteren wichtigen Rüstungsstandort errichten. Hinfort mit ihrer nutzlosen Glaskunst! Die Schmieden des Imperiums verlangen nach Eisen und Stahl. Ihr werdet, als Präfekt, die Bauarbeiten einleiten und überwachen!“ Kaum zu glauben. Damarius war in vielen Belangen unsagbar talentiert, doch am besten gelang es ihm immer noch seinen jahrelangen, treuen Diener und Gefährten wieder und wieder aus der Fassung zu bringen. Vor lauter überschäumenden Emotionen konnte Lykos seiner Kehle nichts weiter als ein „Jawohl…“ entlocken. Auch gelang es ihm nicht sich in Bewegung zu setzen, um auf dem früheren Sitz des Bürgermeisters Platz zu nehmen. Damarius fuhr indessen, unbekümmert von der Dankbarkeit seines Vertrauten, mit der Auflistung seiner Instruktionen fort: „Ich werde alsbald mit den Truppen in Richtung Adun weiterziehen. Shah ist zum Greifen nah. Einen Teil der Männer überlasse ich euch. Eure Aufgabe ist es, ein Auge auf die Produktion zu haben und mir den Nachschub zu sichern!“ „Wie ihr befehlt, Herr General!“ Lykos salutierte kaiserlich und verließ den prachtvoll geschmückten Ratssaal von Nantra, der in der Schlacht nicht einen winzigen Teil seines Glanzes hatte einbüßen müssen. Zu viel hatte den Nantriten das kolossale Bauwerk aus der Gründerzeit ihrer Stadt bedeutet, als es den Flammen der Zerstörung zu überlassen. Nichts war zu spüren außer dieser Kälte. Sein Atem war kühl, der Schweiß lief seine Stirn hinunter und er rang flehend nach Luft. Das Blut auf seiner Haut begann zu gerinnen, bildete schwache Krusten die unter seinen krampfenden Atemstößen brachen. Es fühlte sich an, als sei seine Brust eingedrückt und jemand hätte ihm eine Schlinge um den Hals gezogen. Tajur dachte an all das, was er erlebt hatte und sah, dass sein Leben nicht gerade berauschend verlaufen war. Doch er bekam einfach nicht Tobiers Worte aus dem Kopf. Selbst im Angesicht des Todes verfolgten sie ihn und hallten in der leere seiner Gedanken wie in einer verlassenen Höhle kalten Steines wieder. Einer der Soldaten spuckte auf ihn und bedachte ihn mit abwertenden Namen, deren Bedeutung Tajur erfasste, ohne dass er große Kenntnisse von den Worten der Karthesier hatte. Danach setzte der Soldat, dem Tajur der Ohnmacht nahe in das von Narben zerfressene Gesicht sah, zum Todesstoß an. Er hob das Schwert und ließ die Klinge niederfahren, als plötzlich... Tajur konnte es nicht erkennen. Er war vollkommen verblüfft, als er die Umrisse der Gestalt, die sich gegen das Licht der aufgehenden Sonne schwarz abzeichneten, erkannte. „Das kann doch nicht wahr sein du bist...du bist...“ stammelte Tajur in der Welt eines unzählige Male erfahrenen Traumes gefangen. Was Tajurs Augen sahen war ein alter, zerzauster, zotteliger Mann, der einen zerfetzten Lumpenmantel trug und in der rechten Hand eine halb zerbrochene Flasche hielt. Was den Jungen aber wirklich erstaunte, war die bläulich funkelnde Rüstung, die nur kurz unter den Fetzen hervor schien und dann wieder verschwand. Der Alte besaß eine Tajur so angenehme und vertraute Aura, dass er das Gefühl hatte, er würde ihn schon seit ewigen Zeiten kennen. „Ich bin Niemand Junge!“ antwortete der Greis salopp mit einer leicht beschwipsten Stimme auf die letzten Worte des Jungen. „Aber was du getan hast war sehr mutig, Kleiner und außerdem haben diese Typen meine Flasche zerbrochen!” Tajur fokussierte die Flasche und deren verschütteten Inhalt zu seiner Rechten bis er den Erläuterungen des Betrunkenen weiter folgte: „Ich wollte eigentlich in Ruhe schlafen, da kam euer Treck hier vorbei getrampelt und ihr habt alle so einen Tumult verbreitet wie der Donner persönlich es nicht hätte besser machen können. Zu allem Überfluss musste ich erkennen das diese Mistkerle hier unschuldige Zivi... hicks... Zivilisten jagen…“ er schluckte, ließ die Fragmente der Flasche fallen und hielt den Soldaten seine Fäuste entgegen: „Ihr solltet euch was schämen, habt ihr denn keinen Funken Ehre in eurem Leib? Wie wäre es, wenn ihr euch mal mit jemandem anlegt der sich...“ er schwankte und musste aufpassen nicht hinzufallen „...der sich wehren kann!“ Die karthesischen Soldaten schauten einander an und großes Gelächter brach unter ihnen aus: „Haha, alter Mann! Was willst du denn bitte gegen uns ausrichten? Du kannst dich ja kaum auf deinen Beinen halten. Geh beiseite sonst lehren wir dich Respekt…“ der Soldat sah ihn höhnisch und gleichsam fordernd an. „Ihr solltet...mich...nicht...unterschätzen!“ als der Alte diese Worte aussprach verfinsterte sich seine Miene und er wankte kurz nach rechts, dann nach links. Dann stürmte er mit rasender Geschwindigkeit auf den Soldaten, der vor Lachen völlig unvorbereitet war, zu und verpasste ihm einen kräftigen Kinnhacken, dass dieser im hohen Bogen nach hinten geschleudert und auf der Stelle bewusstlos wurde. Danach kehrte er sich den anderen zu. „Was zur Hölle bist du?“ fragte einer der Männer verdutzt. „Du wirst es vermutlich gleich erfahren, mein Freund!“ seine Aura verdunkelte sich und für alle deutlich sichtbare Energie strömte durch seinen Körper. Die schwankende Unsicherheit war von ihm gewichen und er wirkte wie ein unüberwindbarer Fels. Der Fremde hob seine Faust und schmetterte sie mit gewaltiger Kraft in den Boden. Eine Schockwelle erfasste die Umgebung. Die Steine der gepflasterten Straße verschoben sich, rissen auf und Teile von bisher nahezu unbeschädigten Häusern stürzten plötzlich ein, wie nach einem heftigen Sturm. Tajur traute seinen Augen kaum. Wer war dieser Mann? Oder besser gesagt: Was war er? Ein Erzmagier getarnt als Tagelöhner? Ein Geist oder etwa ein Gott der sich der leidenden Sterblichen annahm? Jedenfalls war er nicht von dieser Welt, soviel stand fest. Die Welle der Erschütterung erfasste so ziemlich alle Soldaten im Areal und fegte sie von ihren Füßen, dass sie hart gen überfielen und kampfunfähig dalagen. Einige, die dies noch vermochten, flohen. Andere wollten es wissen und stellten sich diesem Übermensch. Einer dieser Soldaten grölte, seinen Schwertarm in die Luft hievend: „Für Kaiser und Imperium!“ und stieß einen gewaltigen Kriegsschrei aus, der seine Mitstreiter zu motivieren schien, da sie es ihm gleichtaten. Siegesmutig und wie im Taumel des Wahnsinns preschten sie gemeinsam auf den Alten ein. Tajur schloss seine Augen für einen kurzen Moment, denn er war sicher, dass dies das Ende des Mannes sein würde. Zur Überraschung aller Beteiligten entspannte sich dieser sichtlich, lächelte sanft und hockte sich auf den Boden. Die Angreifer rückten immer näher, doch er strich mit der Hand über die Steine vor ihm und sein Lächeln verbreiterte sich zu einem absurden Grinsen. Es schien wohl ein üppiger Weinfleck oder Ähnliches gewesen zu sein, denn er hob seine benetzte Hand an die Lippen und schmeckte die Flüssigkeit. Zufrieden kichernd, konzentrierte er sich plötzlich tief in sich gehend und nuschelte eine Formel in einer Sprache, die Tajur nicht mal im Ansatz erkannte. Seine Hände begannen in einem blauen Schimmer zu glühen und er flog wieder mit berauschender Geschwindigkeit hinein in die angreifende Masse. Er war so schnell. Man hörte nur das Geräusch, wie seine Fäuste den Körper berührten und das Brechen der Knochen seiner Feinde. Angstschreie und Schreie, die von großem Schmerz kündeten, kamen nun aus den Reihen der Karthesier. Danach wurde es still um Tajur. Als sich der aufgewirbelte Staub, der sich schwach gegen die Morgensonne abhob, gelegt hatte, erspähte er den Alten mit einer neuen Flasche billigen Weines in der Hand, von welcher er einen zügig üppigen Schluck nahm und sie dann beiseite warf, dass diese auf dem Boden zerschmetterte - dies alles umringt von den sich vor Schmerzen krümmenden Männern der karthesischen Armee. Unglaublich! Er hatte keinen einzigen von ihnen getötet und doch jeden Einzelnen kampfunfähig gemacht. Tajur konnte es einfach nicht begreifen. Der alte Saufbold hatte einen Teil der stärksten Armee Evolons einfach so niedergeschlagen. Das lag weit fern seiner Vorstellungskraft. Das Herannahen der karthesischen Verstärkung zu ihrem Aufenthaltsort und das Dröhnen ihrer marschierenden Stiefel auf dem Pflaster, welches auf sehr viele Männer hindeute, wischte seine bannende Faszination hinweg und brachte ihn der harten Realität näher. Der vergreiste Lumpenmann stand auf, ging zu Tajur und hob seine Hand über dessen geschundenen Körper. Ein wohltuendes Gefühl durchdrang seinen aufgeschlitzten und durchbohrten Leib und die Wunden schlossen sich und hinterließen lediglich kleinere Narben. „Also doch ein Priester…“ hauchte Tajur verblüfft, wie nach einer gelungenen Zirkusvorstellung. „Nein nicht ganz, aber komm jetzt, Grünschnabel. Nimm die Beine in die Hand und lauf! Wir sollten hier schleunigst verschwinden!“ hastete der Alte. „Aber ihr könnt sie besiegen, ihr habt es doch eben auch getan?“ der Junge schaute den alten Kauz verständnislos an. „Ja und dabei habe ich alle meine Reserven verbraucht, Kleiner. Also komm, lass uns verschwinden!“ der Alte schulterte Tajur, nahm konzentriert Anlauf und machte eine riesigen Satz über den Fluss ans andere Ufer. Dann setze er ihn sanft ab, blickte in die Richtung aus der sie gekommen waren und gab erklärend hinzu: „Da die Brücke zerstört ist haben wir genügend Vorsprung. Also leb wohl, Junge… Aber schone dich. Ich habe deine Wunden verschlossen, aber nicht ihre Ursache geheilt “ Der Alte kehrte sich um und ging ruhigen gleichmäßigen Schrittes davon, als ihm Tajur, sich aus dem Bann der Verwirrung und des Staunens gelöst, hinterher rief: „Halt! Nehmt mich mit! Egal wo ihr hin wollt, mich hält hier Nichts mehr an diesem verfluchten Ort, der mal meine Heimat war.“ Der Mann hielt inne, drehte sich zu ihm und schaute ihn völlig entsetzt an: „Weißt du was du redest Kleiner? Du bist noch jung, wenn du jetzt fliehst hast du die Chance auf ein schönes Leben mit vielleicht einer Frau und ein paar Kindern. Such dir eine neue Heimat, wenn dir diese kein Glück gebracht hat. Ich bin ein Einzelgänger. Glaub mir, mit mir findest du es nirgends. Du solltest dir jemand anderes suchen. Ich bringe UNGLÜCK!“ schnaufte der Alte und wandte sich erneut ab, während der Junge neben ihm her trottete. „Aber wieso denn Unglück? Ihr habt gerade mindestens einhundert Menschen das Leben gerettet, inklusive meinem. Ihr seid ein Held!“ Tajur musterte den Mann an seiner Seite und schlug plötzlich die Hände über dem Kopf zusammen: „Ich hätte es fast vergessen“ eilten ihm die Worte über die Lippen: „Sagt, wie heißt ihr?“ Tajur war vollkommen aufgeregt. Er wollte dem alten so viele Fragen stellen, so schnell konnte dieser gar nicht antworten. „Namen sind Schall und Rauch, Junge!“ Der alte Zausel sah ihn eingehend an, dass Tajur in dessen flimmernde blaue Augen blickte: „Vergiss was du gesehen hast und geh deiner Wege!“ Wie er dies sagte gelangten sie an der Mauer an. Die Flüchtlingswagen waren alle schon abgefahren. Sie fanden sich völlig allein am östlichen Tor wieder. Die Körper einiger Karthesier lagen leblos auf dem Boden. Es musste sich um die abgezogenen Wächter handeln. Diese hatten anscheinend nichts gegen Tobiers Männer ausrichten können, sodass sie überwältigt wurden. „Nun denn junger Mann, gehabt euch wohl!“ der Alte verabschiedete sich mit einer kurzen winkenden Bewegung und torkelte durch das offene Tor in nordöstliche Richtung. Tajur schaute ihm noch eine Weile nach, bis die Gestalt des Fremden in der sich langsam erwärmenden Wüstenluft verschwamm und schließlich ganz verschwand. Wer auch immer er gewesen war, Tajur würde ihn nie vergessen- den betrunkenen Vagabunden. Mit der seltsamen Ungewissheit des Aufbruchs ins Nichts konzentrierte Tajur seine Augen auf den hellen Wüstensand, der die Sonne fast wie ein Spiegel reflektierte und folgte den Spuren der Flüchtlingswagen.
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